Abgeschlossenes Forschungsprojekt: „Adoleszenz zwischen den Kulturen - Jugendbiographien und jugendkulturelle Szenen von Muslimen in Deutschland“

 

Projektleitung: Prof. Dr. Hans-Jürgen von Wensierski

Die Publikationen entstanden im Rahmen der DFG-geförderten Studie „Adoleszenz zwischen den Kulture – Jugendbiographien und jugendkulturelle Szenen von Muslimen in Deutschland“.

Die Studie sollte die besondere Gestalt der Jugendphase und die Prozessverläufe der Jugendbiographien junger Muslime in Deutschland untersuchen. Das Ziel war die Herausarbeitung einer Typologie charakteristischer Biographieverläufe aus verschiedenen muslimischen Gruppierungen und Milieus. Zusätzlich sollen die Erscheinungsformen, die sozialen Strukturen und die Bedeutung muslimischer Jugendszenen untersucht werden. Dazu wurde eine qualitative Studie durchgeführt, die auf der Basis biographischer Methoden die Lebensgeschichten junger Muslime verschiedener ethnischer Gruppen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren rekonstruiert. Die Studie geht über die bestehende Forschung hinaus, da sie sowohl männliche wie weibliche Jugendliche einbezieht und dabei die Zielgruppe weder als bloßes Migrationsphänomen versteht, noch die Muslime theoretisch auf den Fokus muslimischer Religiositätskonzepte reduziert. Im Anschluss an eine modernisierungstheoretische und interaktionistische Jugendforschung ist der Untersuchungsgegenstand vielmehr das gesamte Spektrum muslimischer Biographieverläufe, Lebensstile und Jugendkulturen im Kontext ihrer Alltags- und Lebenswelten.

Erhebungsregionen: deutsche Großstädte, insb. Berlin, Hamburg, Hannover, Ruhrgebiet

Methodische Vorgehensweise: Es handelt sich um eine qualitative Studie auf der Basis von Biografienanalysen. Dabei geht es um die biographischen Erfahrungen und biographischen Prozessverläufe junger Muslime in Deutschland. Dazu wurden 107 biographische Interviews mit Hilfe des Verfahrens des Narrativen Interviews erhoben und ausgewertet – ein Teil davon wure in der aktuellen Publikation „Als Moslem fühlt man sich hier auch zu Hause“ (2012) veröffentlicht. Zielgruppe waren junge Muslime (männlich und weiblich) im Alter zwischen 20 und 30 Jahren verschiedener Nationen und muslimischer Religionsgruppen. Zentrale Gegenstände der Studie sind die Prozessstruktur der Jugendphase und die Verlaufsformen der Jugendbiographien junger Muslime. Die gewählte Altersgruppe macht es möglich, retrospektiv die Jugendphase der Interviewpartner zu rekonstruieren und zwar sowohl die Statuspassage Kindheit - Jugendphase wie auch die Statuspassage von der Jugendphase ins Erwachsenenalter. Mit der Altersgruppe der 20-30jährigen lassen sich sowohl die Varianten einer frühen Integration in die Erwachsenenphase (kurze Jugendphase), als auch potenziell der Typus einer (muslimischen) Postadoleszenz erfassen. Die biographische Rekonstruktion ermöglicht somit die Analyse des Prozessverlaufs der gesamten Jugendphase bzw. Jugendbiographie. Gegenüber den vorhandenen Studien zeichnet sich das Arbeitsprogramm der Forscher vor allem durch die parallele Berücksichtigung beider Geschlechter sowie durch die Einbeziehung multiethnischer Gruppierungen (Türken, Araber) aus. Die Interviewpartner leben mindestens seit der Kindheit in Deutschland oder sind oder hier geboren – sie repräsentieren also die sog. Zweite Generation. Dieses Kriterium soll sicherstellen, dass auch die gesamte Jugendphase in Deutschland erlebt wurde, zudem sichert es vermutlich die notwendigen deutschen Sprachkenntnisse für ein narratives Interview. Zum Islam konvertierte deutsche Muslime wurden nicht berücksichtigt, da diese Gruppe einen Sonderfall muslimischer Sozialisation darstellt.

Projektbeginn: 2006-10

Projektende: 2008-09

Finanzierer: Deutsche Forschungsgemeinschaft (Kennedyallee 40, D-53175 Bonn; http://www.dfg.de/)

Neuerscheinung

 

Wensierski, Hans-Jürgen von/ Lübcke, Claudia: "Als Moslem fühlt man sich hier auch zu Hause"

Biographien und Alltagskulturen junger Muslime in Deutschland.

ISBN: 978-3-8474-0008-0
Verlag Barbara Budrich 
Erscheinungsjahr: 6/2012
434 Seiten 
44,00 € 
Bestellmöglichkeit: Barbara-Budrich-Verlag

Unter Mitarbeit von Franziska Schäfer, Melissa Schwarz, Andreas Langfeld und Lea Puchert

Biografische Prozesse, Alltagskulturen und Lebenswelten junger Muslime in Deutschland stehen im Mittelpunkt dieser empirisch-qualitativen Analyse. In 17 Fallstudien wird die besondere Gestalt der Jugendphase von Muslimen aus Migrantenfamilien, die in Deutschland geboren wurden oder seit ihrer Kindheit hier leben, herausgearbeitet. Es werden Bildungsprozesse, Familienstrukturen, Religiosität, Jugendkulturen und Sexualität beleuchtet.

Zum Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

Weitere Publikation

 

Wensierski, Hans-Jürgen von; Lübcke, Claudia (Hrsg.): Junge Muslime in Deutschland.

Lebenslagen, Aufwachsprozesse und Jugendkulturen

ISBN: 978-3-86649-056-7
Verlag Barbara Budrich
Erscheinungsjahr: 7/2007 
360 Seiten 
29,90 € 
Bestellmöglichkeit: Barbara-Budrich-Verlag

Der Band gibt einen Überblick über die sozialen Lebenslagen, die Aufwachsprozesse und pluralistischen Alltagskulturen junger Muslime in Deutschland. Dazu versammelt das Buch den einschlägigen Forschungsstand aus der Sozialstrukturforschung, Jugendforschung, Migrationsforschung und Islamforschung zum Thema.

Aus dem Inhalt:

Grundlagen

Faruk Sen: Islam in Deutschland. Religion und Religiosität junger Muslime aus türkischen Zuwandererfamilien.

Susanne von Below/Ercan Karakoyun: Sozialstruktur und Lebenslagen junger Muslime in Deutschland

Hans-Jürgen von Wensierski: Die islamisch-selektive Modernisierung. Zur Struktur der Jugendphase junger Muslime in Deutschland

Orientierungsmuster junger Muslime

Wolfgang Nieke: Kulturelle und ethnische Identitäten – als Sonderfälle der Orientiertung gebenden kollektiven Identität

Dirk Halm: Freizeit, Medien und kulturelle Orientierungen junger Türkischstämmiger in Deutschland

Religion und Religiosität

Ursula Boos-Nünning: Religiosität junger Musliminnen in Deutschland

Sigrid Nökel: ‚Neo-Muslimas’ – Alltags- und Geschlechterpolitik junger muslimischer Frauen zwischen Religion, Tradition und Moderne

Sozialisation und Bildung junger Muslime Y

Yasemin Karakasoglu/Halit Öztürk: Erziehung und Aufwachsen in Deutschland. Islamisches Erziehungsideal und empirische Wirklichkeit in der Migrationsgesellschaft

Birol Mertol: Männlichkeitskonzepte von Jungen mit türkischem Migrationshintergrund.

Gaby Straßburger: Auf die Liebe kommt es an! – Beziehungsideale und -entscheidungen junger Muslime in Deutschland.

Wolf Dietrich Bukow: Junge Muslime in Schule und Bildung

Mona Granato/Jan Skrobanek: Junge Muslime auf dem Weg in eine berufliche Ausbildung – Chancen und Risiken

Franziska Schäfer/Melissa Schwarz: Zwischen Tabu und Liberalisierung – Zur Sexualität junger Muslime

Lebensentwürfe und Jugendkulturen

Claudia Lübcke: Jugendkulturen junger Muslime in Deutschland

Michael Bochow: Homosexualität junger Muslime – Anmerkungen zu gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten unter Männern in Westeuropa

Soziale Probleme

Martina Sauer: Integrationsprobleme, Diskriminierung und soziale Benachteiligung junger türkeistämmiger Muslime

 

 

Zeitschriftenaufsatz/Literaturbericht:

Wensierski, Hans-Jürgen von; Lübcke, Claudia (2006): Zwischen Allah und HipHop – Junge Muslime in der Jugendforschung. In: Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau, Heft 52, 2006, S. 3-14

Wensierski, Hans-Jürgen von; Lübcke, Claudia (2006): Junge Muslime in Deutschland. In: Sozial Extra, Februar, S. 17-21

Wensierski, Hans-Jürgen; Lübcke, Claudia; Schwarz, Melissa: Das ungläubige Leben. Adoleszenz junger Muslime zwischen expressiven Jugendkulturen und Re-Islamisierung. In: sozialer sinn. Zeitschrift für hermeneutische Sozialforschung, 2008, H. 1, S. 73-93    

Sammelband:

Wensierski, Hans-Jürgen von; Lübcke, Claudia (2007): Junge Muslime in Deutschland. Lebenslagen, Aufwachsprozesse und Jugendkulturen. Opladen & Farmington Hills   

Einzelartikel:

Wensierski, Hans-Jürgen von (2007): Die islamisch-selektive Modernisierung – Zur Struktur der Jugendphase junger Muslime in Deutschland. In: Wensierski, Hans-Jürgen von; Lübcke, Claudia (2007): Junge Muslime in Deutschland. Lebenslagen, Aufwachsprozesse und Jugendkulturen. Opladen & Farmington Hills, S. 55-82

Schäfer, Franziska; Schwarz, Melissa (2007): Zwischen Tabu und Liberalisierung – Zur Sexualität junger Muslime. In: Wensierski, Hans-Jürgen von; Lübcke, Claudia (2007): Junge Muslime in Deutschland. Lebenslagen, Aufwachsprozesse und Jugendkulturen. Opladen & Farmington Hills, S. 251-281

Lübcke, Claudia (2007): Jugendkulturen junger Muslime in Deutschland. In: Wensierski, Hans-Jürgen von; Lübcke, Claudia (2007): Junge Muslime in Deutschland. Lebenslagen, Aufwachsprozesse und Jugendkulturen. Opladen & Farmington Hills, S. 285-318

Wensierski, Hans-Jürgen; Lübcke, Claudia (2010): HipHop, Kopftuch und Familie – Jugendphase und Jugendkulturen junger Muslime in Deutschland. In: Andresen, Sabine; Hunner-Kreisel, Sabine (Hg.): Kindheit und Jugend in muslimischen Lebenswelten: Aufwachsen und Bildung in deutscher und internationaler Perspektive. Wiesbaden

Wensierski, Hans-Jürgen von; Lübcke, Claudia (2011): „In Deutschland habe ich mit meinem Kopftuch nie Probleme gehabt.“ – Zur Religiosität junger Muslime der Zweiten Generation in Deutschland. In: Allenbach, Brigit u.a. (Hrsg.): Jugend – Migration – Religion. Interdisziplinäre Perspektiven. Ort, S. 93-114

Zusätzliche Downloads zu den Fallanalysen

Zusätzlich zu den im Buch „Als Moslem fühlt man sich hier auch zu Hause“ erschienenen Fallanalysen finden Sie hier weitere Fallportraits muslimischer Jugendbiographien sowie ausführliche Sequenzanalysen, die im Rahmen des Forschungsprojektes entstanden sind. Mit einem ‚Klick’ auf die farbig unterlegten Fallüberschriften können Sie diese Analysen als PDF-Dokument herunterladen.      

III. Biographien junger Muslime – eine Typologie

1. Säkularisierter jugendbiographischer Verselbständigungsprozess (Typ 1)

a) Säkularisierter Verselbständigungsprozess mit westlich-expressivem Bildungs- oder Szenemoratorium 
„Ich bin nicht das typische Mädchen“ – Die HipHop-begeisterte Fußballerin Sherin 
„Für mich war es immer wichtig, das eigene Ding durch zu machen“ – Tarik, der Buchhalter in der HipHop-Szene
Zusätzlicher Download: „Ich hab immer schon von kleinauf gesagt, du willst was anderes, als das was jetzt ist.“ – Farida, die Selbstbehauptung einer Außenseiterin

b) Säkularisierte interkulturell-polyglotte Bildungsbiographie
„Komischerweise sind jetzt meine engsten Freunde eher Deutsche“ – Die junge Exil-Iranerin Chelowise 

c) Säkularisiert-assimilierte Jugendbiographie
„Ich habe mich sehr integriert in diese Kultur. Sehr! So, dass man mir nachsagt, du bist mehr deutsch als Perser“ – Der kreativ-weltoffene Basim

2. Bikulturelle Identitätsproblematik (Typ 2)

a) Kritische Selbstvergewisserung über die kulturelle Identität
„Meine Eltern haben immer versucht, mir einzureden, dass ich ’n Moslem wäre.“ – Der säkulare, politisch-engagierte Esim
Zusätzlicher Download: "Zwei Kultur`n . is halt auch `n Vorteil" - der bikulturell-orientierte Rockmusiker Firat

b) Weibliche Selbstbehauptungsmuster gegenüber einer traditionellen Frauenrolle
„Disco ist was für Schlampen“ – Gülüzar, die traditionskritische Alevitin mit enger Familienbindung
Zusätzlicher Download: Sequenzanalyse und Biographischen Gesamtformung von Gülüzar 

c) Konflikthafte, selbstbehauptete Identitätsbildung gegenüber dem Migrantenmilieu 
„Ich seh mich als Freiheitskämpfer (...) für Schwule (...) in meiner Gesellschaft, in meinem Umfeld“ – Der junge schwule Kurde Dara
Zusätzlicher Download: „Als ausländisches Mädchen wächst de ja so auf, deine Ehre, deine Unschuld“ – Mercedes, die provokant-individualistische Lesbe

d) Konflikthafte, bikulturelle Identitätsbildung zwischen Mehrheitsgesellschaft und ethnischem Herkunftsmilieu 
„Wenn isch hier sitze, möscht isch nisch auf’n 80er, dann möscht ich auf’n 100er gucken.“ – Der arbeitslose Emre

3. Re-Islamisierung im Gefolge der Adoleszenz (Typ 3)

a) Re-Islamisierung im Kontrast zum Elternhaus
„Als Moslem fühlt man sich hier auch eigentlich zu Hause“ – Farad, der türkische Moscheevorbeter aus sozialdemokratischer Familie

b) Re-Islamisierung nach expressiver Jugendphase
„Irgendwie ein Leben der Extreme“ – Cihat, der hedonistische Diskogänger aus konservativer Moscheegemeinde
„Das Problem ist ja, als Gläubiger hat man keine eigene Meinung (lachen)“ – Ramin, Fußballer, HipHopper und Islamist 

c) Re-Islamisierung nach biographischer Problemlage 
„Wenn du jetzt HipHop machst und Kopftuch trägst, das is ja (.) schon fast pervers.“ – Subaia, die emanzipierte Rapperin aus einer politischen Palästinenserfamilie
Zusätzlicher Download: „Von Marxist, bis zu . Feminist, bis zu . Islamist. Alle machen ihre Entwicklung durch.“ – Der sozialdemokratisch-schiitische Islamist Arian

4. Islamisch-selektiv modernisierte Jugendbiographie (Typ 4)

a) Islamisch-traditionale Jugendbiographie
„Voll streng, mein Leben, immer traurig, immer heulen“ – Tülin, die sozial benachteiligte Schülerin aus traditionell-konservativem Milieu

b) Traditionale Jugendbiographie mit partiellen religiösen Orientierungen
„Das Größte, was für ein Moslem bedeutet, ist ne Ehre“ – Der traditional-religiöse Durmaz mit delinquenter Jugendbiographie

c) Islamisch-traditionale Jugendbiographie mit Individualisierungstendenzen
„Kind, es gibt auch noch diese Welt. Nicht nur die deutsche Welt, in der wir jetzt leben.“ – Songül, die traditional-religiöse Bankangestellte

d) Individualisierte Neo-Muslima mit erfolgreicher Verselbständigung 
„Ich bin ohne Kopftuch in die Sommerferien und bin mit Kopftuch aus den Sommerferien rausgekommen“ – Die soziale und religiöse Ehrenamtlerin Lale aus traditional-proletarischer Familie 
„Mein Vater erwartet von mir, dass ich eine gute Muslimin bin, mit Karriere“ – Die emanzipierte Kopftuchträgerin Polyana 
Zusätzlicher Download: „Ich bin eine deutsche Muslima mit syrischem Hintergrund“ – Amira, religiös engagierte Verbandsaktivistin und Medizinerin