Unterstützungsorientierter Kinderschutz als kooperative Netzwerkstrategie

Unterstützungsorientierter Kinderschutz als kooperative Netzwerkstrategie.
Eine Analyse multiprofessioneller Strukturen am Beispiel der „Kontaktstelle Kinderschutz“ in Schwerin

Spätestens seit entsprechenden Gesetzesnovellen im Rahmen der Kinderschutzreform stehen multiprofessionelle Kooperationen in Fällen von Kindeswohlgefährdungen programmatisch im Fokus politischer und fachöffentlicher Diskurse. In diesem Zusammenhang wird die Frage nach dem Leitbild eines neuen, barrierefreien und koordinierten Kinderschutzes aufgeworfen: Gegenüber der verbreiteten Praxis einer re-aktiven, eingriffs- und kontrollorientierten Kinder- und Jugendhilfe fordern die beteiligten Professionen einen stärker dialogischen und unterstützungsorientierten Kinderschutz. Die Perspektive auf präventiven Kinderschutz als kooperatives Arrangement wird mit der Hoffnung verbunden, Hinweise auf mögliche Kindeswohlgefährdung durch das Zusammenwirken aller relevanten Institutionen frühzeitiger aufgreifen und somit schließlich auch die Eigenkräfte der Kinder und Familien sowie deren Befähigung zur autonomen Lebensführung fördern zu können.

Insbesondere der Aufbau gemeinsamer Arbeitsbeziehungen in den unterschiedlichen regionalen Kinderschutznetzwerken evoziert zwischen den beteiligten Akteur:innen jedoch Kommunikationsprozesse, in denen unterschiedliche Handlungslogiken, Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche in Fragen der Kindeswohlgefährdung aufwendig abgestimmt werden müssen. So erscheinen die vielfältigen Initiativen und Formierungsversuche eines kooperativen Kinderschutzes vielmehr als spannungsreiche Arenen, in denen sich Berufsexpert:innen mit zum Teil disparaten Fallzugängen, disziplinären Wissenssystemen, diagnostischen Kriterien sowie unterschiedlicher institutioneller Durchsetzungsmacht begegnen und gemeinsam eine gültige Ordnung ihrer fachlichen Delegationsbeziehung verhandeln müssen.  

Die Rostocker Studie setzt an diesen Befunden an. Am Beispiel der „Kontaktstelle Kinderschutz“ in Schwerin, einem Modellvorhaben des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Sport in Kooperation mit dem Landesverband Deutscher Kinderschutzbund e. V., wird auf der Basis eines methodenpluralistischen Zugangs aus standardisierten und qualitativen Verfahren der empirischen Sozialforschung die Entwicklung und Implementation einer ressortübergreifenden Netzwerkstrategie begleitet. Die Analyse bezieht sich dabei sowohl auf die multiprofessionelle Fallarbeit als auch auf Fragen der Organisationsentwicklung in regionalen Kinderschutzstrukturen. Schließlich geht es um die Ableitung theoretischer Befunde über die Herausforderungen multiprofessioneller Kooperation im Kinderschutz unter besonderer Berücksichtigung potenzieller Verschiebungen im Arbeitsbündnis zwischen Expert:innen und Klient:innen.

Methodischer Aufbau:

Organisationsentwicklung (Kooperation, Vernetzung, Weiterbildung, Fachaustausch Öffentlichkeitsarbeit)

  1. Organisations- und Perspektivanalyse durch Experteninterviews und Netzwerkanalysen
  2. Qualitative Experteninterviews und egozentrierte Netzwerkkarten mit professionellen Akteur:innen
  3. Analyse von Dokumenten/ethnographische Felderkundungen (teilnehmende Beobachtung in Teamgesprächen)
  4. Zukunftswerkstatt

Folgende Fragen stehen hierbei im Mittelpunkt:

  • Wie stellen sich vor, während und nach dem Modellvorhaben die Erfahrungen regionaler Träger des Kinderschutzes mit den Möglichkeiten und Reichweiten einer koordinierten Zusammenarbeit dar?
  • Gibt es Passungsprobleme in den professionellen Zuständigkeiten, Problemdeutungen und Handlungsansätzen?
  • Wie lassen sich unterschiedliche Falldiagnosen sowie sprachliche und organisationskulturelle Bearbeitungslogiken in gemeinsame Problemlösungsprozesse übersetzen?

Fallarbeit (Erstkontakt, Beratung, Strukturierung der Unterstützungsmöglichkeiten)

1.  Standardisierter Erfassung- und Befragungsbogen für Hilfesuchende

2.  Fallrekonstruktionen (Gelingensbedingungen für erfolgreiche Hilfebegleitung): Exemplarische Darstellung und Analyse einzelner Hilfeverfahren auf der Basis von Fallakten und qualitativen Interviews mit Mitarbeiter:innen der Kontaktstelle sowie Hilfesuchenden

Folgende Fragen stehen hierbei im Mittelpunkt:

  • Wie unterscheidet sich die Zielgruppe der Kontaktstelle Kinderschutz hinsichtlich ihrer Herkunftsmilieus, sozialen Problemlagen, Erwartungshaltungen und Zugangsmöglichkeiten?
  • Wie funktioniert multiprofessionelle Kooperation in der konkreten Fallarbeit?
  • Welche unterschiedlichen Partizipationserfahrungen machen Kinder und Familien im Verlauf des Hilfeverfahrens?

Finanzierung

Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern

Leitung und Koordination:

Prof. Dr. Jens Brachmann
Dr. phil. Andreas Langfeld

Mitarbeit:

Anna Bahr, MA

Geplante Projektlaufzeit

01.08.2021-31.12.2023

Kontakt

Universität Rostock
Institut für Allgemeine Pädagogik und Sozialpädagogik
Anna Bahr
August-Bebel-Str. 28, Raum 4041

Tel.: +49 (0) 381 498 2634
Mail: anna.bahruni-rostockde